INHALT
Vorwort von Zecharia Sitchin
Einleitung: Der Atlantis-Wahn
1 »In nur einem Tag und einer Nacht« – eine Nachschöpfung
2 Wo liegt Atlantis?
3 Die Königin unter den Legenden
4 Feuer vom Himmel
5 Wie wurde Atlantis zerstört?
6 Wann wurde Atlantis zerstört?
7 Das Leben in Atlantis
8 Die Entdeckung von Atlantis
9 Die Geschichte von Atlantis – kurz und bündig
Schlusswort: Die Atlanter sind wir
Quellenhinweise
Über den Autor
Register
KAPITEL DREI: DIE KÖNIGIN UNTER DEN LEGENDEN
"So wie Sie bin auch ich überzeugt davon, dass es unbedacht ist, die griechischen, aus Ägypten erhaltenen Legenden über eine versunkene Insel, die Atlantis genannt wurde, einfach so beiseite zu schieben." - Dr. Thor Heyerdahl in einem Brief an den Autor vom 3. Mai 1984
Wenn Atlantis wirklich durch eine ungeheure Katastrophe vernichtet wurde, welche die ganze Menschheit in Mitleidenschaft zog, wo sind dann die antiken Berichte über ein derart kosmisches Ereignis? Welche Beweise aus alten Quellen haben wir dafür, dass ein solcher Ort überhaupt jemals existierte? Bevor wir auch nur beginnen können, über das Drama von Atlantis zu diskutieren, müssen wir irgendeine historische Bestätigung seiner Existenz haben.
Der früheste, mehr oder weniger vollständige Bericht über Atlantis und seine Zerstörung, wurde von Platon irgendwann vor 350 vor Christus aufgezeichnet, viele Jahrhunderte nach dem Untergang der kaiserlichen Hauptstadt. Er schrieb, dass Atlantis die Hauptstadt eines ausgedehnten Reiches war, das einen großen Teil der Welt von einer Insel im Atlantischen Ozean aus beherrschte, die jenseits der Säulen des Herkules lag, heute bekannt als Straße von Gibraltar. Das Volk von Atlantis erreichte große Höhen der kulturellen Pracht und des Reichtums, was sie vor allem ihren Fähigkeiten als Seefahrer und im Bergbau zu verdanken hatten.
Die längste Zeit in ihrer Geschichte waren die Atlanter rechtschaffen, aber mit dem materiellen Überfluss kam die Dekadenz, und sie verlegten sich auf militärische Angriffe. Anfangs waren sie erfolgreich bei der Eroberung so weit entfernter Mittelmeerländer wie Italien und Libyen, doch dann bedrohten sie Ägypten und die Völker der Ägäis, bevor sie schließlich von griechischen Streitkräften besiegt und in ihre Hauptstadt im Ozean zurückgedrängt wurden. Und nachdem sich die Invasoren zurückgezogen hatten, wurde ihre Insel plötzlich durch eine Naturkatastrophe ausgelöscht und versank unter dem Einfluss geologischer Gewalten an »nur einem Tag und einer Nacht« im Meer.
Obwohl Platon in den Dialogen mehrfach betont, dass seine Erzählung keine Sage, sondern die Wahrheit sei, bestehen moderne Kritiker darauf, dass er einen Mythos und keinen Bericht mit historischem Hintergrund geschrieben hat. Aber was ist ein Mythos? Ist es nur eine Erzählung, eine Art Volkssage ohne echte Bedeutung, außer der, eine primitive Moral im Gewand einer unterhaltenden Sage zu predigen? Sicherlich betrachtet die Mehrheit der professionellen Historiker den Mythos als etwas Derartiges. Die mündliche Tradition eines Volkes, die über zahllose Generationen erhalten blieb, zählt wenig oder gar nichts unter Experten, die sich nur mit greifbaren Beweisen beschäftigen. Sie behaupten, ein Mythos sei zu ungewiss, ließe zu viele Interpretationen zu, um brauchbar zu sein. Für sie ist er Erfindung oder bestenfalls das Echo eines Geschehens, das in der Vergangenheit stattgefunden hat und mit der Zeit durch häufiges Wiedererzählen verzerrt wurde. Diese materialistische Geisteshaltung ist von tragischer Arroganz, hat das wissenschaftliche Denken im zwanzigsten Jahrhundert aber weitgehend beherrscht. Wer so denkt, erniedrigt das reiche Erbe ganzer Völker, indem er es als belanglos abtut, und das führt zu einer kurzsichtigen Betrachtung der Geschichte, die wichtige Beweise einfach ausschließt.
Glücklicherweise wurden die Dogmen der materialistischen Gelehrten zunehmend hinfällig, als eine neue Generation von Historikern auf den Plan trat, die mit dem Lebenswerk von Joseph Campbell aufgewachsen war. Mehr als alle anderen vertrat dieser Mann die Ansicht, dass der Mythos etwas viel Größeres ist als eine bloße Fabel oder volkstümliche Erzählung. In vielen hervorragenden Büchern und fesselnden Vorträgen machte er deutlich, dass jeder Mythos, der über Jahrhunderte hinweg immer wieder erzählt wird, etwas von enormer und dauerhafter Bedeutung zu sagen hat. Indem er eine Idee von Carl Gustav Jung, dem großen Schweizer Psychologen, aufgriff, zeigte Campbell, dass es zwei grundsätzliche Arten von Mythen gibt: die unterbewussten und die historischen. Wie Jung machte auch Campbell deutlich, dass bestimmte Themen in der Mythologie verschiedener Völker auftauchen, auch wenn diese räumlich und kulturell sehr weit voneinander getrennt sind. Das bedeutet für beide, dass es ein »kollektives Unterbewusstsein« aller Menschen gibt, das sich durch den Mythos ausdrückt. Mit anderen Worten: Mythen sind die poetischen Manifestationen von Träumen, die allen menschlichen Wesen gemeinsam sind.
DAS GEDÄCHTNIS DER MENSCHHEIT WIRD GELÖSCHT
Der historische Mythos ist niemals ein blutleerer Bericht für die Archive. Vielmehr beschreibt er Ereignisse von besonderer Bedeutung und hält die Erinnerung daran durch dramatische Wiedergabe wach. Wie könnte eine Gesellschaft ohne Schrift die Erinnerung an wichtige Begebenheiten aus der eigenen Vergangenheit bewahren, wenn nicht in einem Mythos? Außerdem ist das Aufschreiben kein Garant für Dauerhaftigkeit. Beschriebenes Material kann verloren gehen. Dokumente verschwinden, Bibliotheken gehen in Flammen auf, selbst in Stein gehauene Buchstaben erodieren.
Tausende von medizinischen und anderen wissenschaftlichen Texten auf Schriftrollen wurden von Cyrus dem Großen verbrannt, als persische Horden 525 vor Christus die Tempel in Theben und Memphis plünderten. Später schlugen die Perser unter Darius I. Peisistratos von Athen. Alle literarischen Werke des antiken Griechenlands mit Ausnahme der Gedichte Homers gingen verloren. Die Griechen rächten sich, als sie unter Alexander dem Großen die persische Stadt Persepolis plünderten und zwölftausend mit Gold auf Ochsenhaut geschriebene Bände der Magi zerstörten. Etwa eine halbe Million Schriftrollen mit dem niedergeschriebenen Wissen der Phönizier ging verloren, als beim Fall von Karthago im Jahre 146 vor Christus das Athenaeum ausbrannte. Auf seinem Feldzug durch Gallien befahl Julius Cäsar, die Druidenschule in Bibracte (heute Mont Beuray in Frankreich), die Tausende von niedergeschriebenen Berichten über Themen wie Medizin, Philosophie, Chemie und Astronomie enthielt, dem Erdboden gleich zu machen. Nach Augustus le Plongeon, dem Vater der Maya-Archäologie, wurde »mit der Ankunft und dem Aufstieg der christlichen Kirche die Erinnerung an die Existenz solcher Länder (wie Atlantis), die bei den Gelehrten – etwa in Ägypten und Griechenland – immer noch fortlebte, völlig aus dem Denken der Menschen getilgt. Wenn wir Tertullian und anderen kirchlichen Autoren Glauben schenken, verabscheuten die Christen in den ersten Jahrhunderten der christlichen Ära alle Künste und Wissenschaften, die sie wie die Literatur den Musen zuschrieben und deshalb als Teufelswerk betrachteten. Folglich zerstörten sie alle Spuren und Ausdrucksformen der Kultur. Sie schlossen die Akademien von Athen, die Schulen von Alexandria, verbrannten die Bibliothek des Serapion und andere Weisheitstempel, welche die Werke der Philosophen und die Berichte ihrer Forscher in allen Bereichen menschlichen Wissens enthielten.«
Der größte Angriff auf den Intellektualismus fand statt, als der Mob die große Bibliothek von Alexandria anzündete, die mehr als eine Million Bände beherbergte. Die schriftlichen Dokumente der westlichen Zivilisation gingen buchstäblich in Flammen auf. Die wenigen tausend Manuskripte, die übrig blieben, wurden schließlich von angreifenden Muslimen verbrannt. Sie glaubten, falls die Bücher Informationen enthielten, die bereits im heiligen Koran gesagt wurden, sei es nicht nötig, sie aufzubewahren. Und wenn sie Worte enthielten, die dem Koran widersprachen, dann waren sie ketzerisch.
Viel später und auf der anderen Seite der Welt zwang Bischof De Landa die Maya von Yucatán, ihre illustrierten Handschriften aus Birkenrinde zu einem riesigen Haufen aufzutürmen. Dann verbrannte er sie. Seinen Vorgesetzten in Madrid berichtete der gute Bischof stolz: »Sie weinten, als ob ich ihre Kinder verbrannt hätte.« Die Mayas besaßen Aufzeichnungen ihrer Vorfahren, die von einer großen Insel im Atlantischen Ozean stammten. Heute bleibt nur noch der Mythos übrig. Es ist daher nicht überraschend, dass so wenig geschriebenes Quellenmaterial über Atlantis verfügbar ist. Was würde ein Atlantisforscher nicht dafür geben, einmal durch die Halle der großen Bibliothek von Alexandria oder durch das Atheneum in Karthago streifen zu können. Doch leider können die verbrannten Bücher niemals mehr gelesen werden. Übrig geblieben sind nur Mythen, doch diese bewahren die Geschichte gut auf. In einer Muschelschale aus poetischer Vorstellung schwimmen sie sicher durch die Zeit, während die meisten schriftlichen Geschichten längst zu Asche geworden sind.
Eine Überlieferung, die im Bewusstsein eines Volkes verwurzelt ist, bleibt lebendig, solange es diese Menschen gibt, denn sie ist ein Teil ihrer Seele geworden. Ein historischer Mythos ist also die poetische Konservierung einer Erinnerung, die für die Identität eines Volkes wichtig ist. Dass solche Erinnerungen auch noch Jahrtausende nach dem Untergang des entsprechenden Volkes weitergegeben werden, beweist, welche tiefe Bedeutung der Mythos auch für die folgenden Generationen hat.
Ein Mythos ist weder ein Märchen noch die Unwahrheit, sondern genau das Gegenteil: die ehrwürdige Konservierung einer wichtigen historischen oder psychologischen Wahrheit in einer Form, die ihr ein langes Überleben ermöglicht. Robert von Ranke-Graves, einer der wichtigsten Autoren und Mythenforscher des zwanzigsten Jahrhunderts, schrieb: »[Mythen] sind wichtige Dokumente, die über alte religiöse Bräuche oder Ereignisse informieren, und zwar durchaus historisch zuverlässig, wenn ihre Sprache verstanden wird und man Zugeständnisse macht in Bezug auf Übersetzungsfehler, falsch verstandene Rituale und vorsätzliche Veränderungen aus moralischen oder politischen Gründen.«
Es ist die Aufgabe des Historikers oder des Mythologen, die über die Jahre wuchernden, einander überlappenden Schichten der poetischen Verzierung sorgfältig abzuschälen und so zum Kern vorzudringen, also zu jenen Tatsachen, die den Mythos gebildet haben.
Der Mythos von Atlantis ist weder ausschließlich psychologisch noch historisch, sondern eine Kombination aus beidem. In seinem Zentrum befindet sich ein tatsächliches traumatisches Ereignis von so universaler Bedeutung, dass es sich ins kollektive Unbewusste der ganzen Menschheit eingebrannt hat. Der Untergang von Atlantis, seine Zerstörung, ist die mächtigste Erinnerung unserer Rasse, denn davor hatten wir uns zum ersten Mal von der Wildheit zur Zivilisation aufgeschwungen, hatten materielle wie spirituelle Größe erlangt und das alles dann an einen katastrophalen Blitz verloren, der einen großen Teil der Menschheit ausrottete. Ein dunkles Zeitalter der Unwissenheit begann, und in den folgenden fünf Jahrhunderten erlebte die Welt einen Rückfall in die Barbarei. Das große Sterben, das in der Geschichte stattgefunden hat, wurde mit Hilfe des Mythos in etwas verwandelt, das bis heute fortdauert, weil es in unserem Unterbewusstsein lebt. Wie sonst hätte diese Geschichte die Vorstellungskraft aller folgenden Generationen so stark beschäftigen können? Tatsächlich ist die Atlantis-Kontroverse heute lebendiger als je zuvor, und das verdanken wir einer großen Zahl von kompetenten, ja sogar brillanten Forschern aus vielen unterschiedlichen Fachgebieten, die von ihren Schlussfolgerungen unweigerlich in das untergegangene Mutterland der Zivilisation zurückgeführt wurden.
Der Kreis schließt sich. Was als wirkliches Ereignis begann, durch den Mythos verwandelt wurde und dann degenerierte, weil man es verleugnet hat, gewinnt nun rasch an Boden, und zwar als historische Tatsache. Dass ein solcher Kreis die letzten zweiunddreißig Jahrhunderte umspannt, ist durchaus verständlich, denn die zur positiven Identifizierung der versunkenen Stadt nötige Technologie wird zum Teil erst noch entwickelt. Aber selbst wenn der erstaunlichste aller Funde zutage träte, wie es eines Tages unweigerlich geschehen muss und wird, würde sich seine Bedeutung uns nicht voll und ganz erschließen, wenn wir nicht wenigstens einige seiner Geschichten hätten. Sie haben sich über Jahrtausende in den Mythen der Überlebenden zu beiden Seiten jenes Ozeans erhalten, der einst ihre Zivilisation verschlang. (...)