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Mit der Kraft des Unsichtbaren leben ...
Hildegard von Bingen wirkte vor 900 Jahren, aber wir spüren noch heute ihre Leidenschaft. Sie galt als Wunderheilerin, schrieb eine medizinische Enzyklopädie und revolutionierte die Krankenpflege. Als Komponistin setzte sie sich über die Musikregeln ihrer Zeit hinweg, als Äbtissin erzwang sie die Gründung des ersten Frauenklosters und ersten Stifts für bürgerliche Nonnen. Sie schrieb visionäre theologische Werke, entwickelte die Kräuterkunde und verkehrte freundschaftlich mit Rabbinern und Kabbalisten. Sie lebte in direktem Kontakt mit dem Ewigen und liebte die Schöpfung. Stets ging es ihr darum, das Reich Gottes auf dieser Welt sichtbar zu machen.
Hildegard von Bingen (1098-1179) lebte in der Spannung zwischen erhebender Gottesvision und mittelalterlichem Existenzkampf. Daraus gewann sie die Kraft und den Glanz einer Heiligen. Fesselnd und geradezu atemlos führt die Autorin uns ihr Werden und Wachsen vor Augen, ihren enthusiastischen Wissensdurst und ihren Einfluss auf die Kirche inmitten einer von Männern beherrschten Welt.
Leserstimmen auf Amazon.com: »Spannend geschrieben, vorbildlich recherchiert. Einmal angefangen, fühlt man sich sofort in die Zeit und den Lebensraum Hildegards versetzt.«
Sabina Trooger, 1955 in München geboren, ist die uneheliche Tochter der Schauspieler Margot Trooger und Will Quadflieg. Sie wirkte an TV-Serien und Spielfilmen mit und war die deutsche Stimme von Madonna und Greena Davis. Nach fünfzehn Jahren in den USA und Panama lebt sie jetzt als freiberufliche Autorin, Übersetzerin und Schauspielerin in Berlin-Charlottenburg.
INHALTSVERZEICHNIS:
Schweigen Schuld Schau Wüste Verheißung Aufbruch Kampf Sturm Ernte Abgrund Krieg Prüfung Sieg Schmerz Freiheit Frieden Epilog Die Autorin
DIE AUTORIN ÜBER IHR BUCH:
»Hildegard von Bingen lebte vor fast tausend Jahren, aber wir spüren noch heute ihre Leidenschaft und Integrität. Sie war eine demütige Nonne, die in göttlichem Zorn Päpste, Kaiser, Könige und Bischöfe zurechtwies. Sie galt als Wunderheilerin, schrieb aber eine medizinische Enzyklopädie und revolutionierte die Krankenpflege. Als Komponistin setzte sie sich zur Ehre Gottes über die strengen Musikregeln ihrer Zeit hinweg, und als Äbtissin erzwang sie die Gründung des ersten unabhängigen Frauenklosters und des ersten Stifts für bürgerliche Nonnen. Sie schrieb visionäre, theologische Werke und verkehrte freundschaftlich mit Rabbinern und Kabbalisten. Was widersprüchlich erscheint, war in Wahrheit Ausdruck ihres unbeirrbaren Glaubens. Wie den ersten Aposteln ging es ihr ausschließlich darum, unter allen Umständen den Willen Gottes über alles andere zu stellen und sein Reich auf dieser Welt sichtbar zu machen. Sie lebte in direktem Kontakt mit dem Ewigen und liebte die Schönheit der Schöpfung. Diese Weite des Geistes und dieser Mut des Herzens fehlen auch uns Heutigen, und es tut gut, sich von Hildegard aufrütteln und befreien zu lassen.«
KAPITEL 4 - WÜSTE
Stets hatte ich mit der Wirklichkeit des Unsichtbaren gelebt und nie gewusst, was im nächsten Augenblick mit mir geschehen würde. Auch auf dem Disibodenberg blieb ich den überraschenden Eindrücken hilflos ausgeliefert, die ungerufen auf meine Seele einstürzten und mein Fassungsvermögen oft überstiegen.
Als sei das nicht genug Unsicherheit, wurde auch mein Körper immer empfindsamer. Auf jeden Wetterumschwung, auf jeden Stimmungswechsel im Raum oder in der Atmosphäre des Klosters reagierte ich auf unvorhergesehene Weise, sodass ich oft mit Schwäche, Gliederzittern und sogar Lähmungserscheinungen im Bett lag. Sicherlich hätte ich diese zweifache Unsicherheit, in der ich lebte, nicht ertragen konnte ich mich doch weder auf meinen Körper noch auf meinen Geisteszustand verlassen , wäre da nicht Jutta von Spanheim gewesen.
Diese Inklusin besaß eine innere Freude, die sich jedem, der mit ihr zu tun hatte, unweigerlich mitteilte. Geduldig und liebevoll belehrte sie uns Mädchen durch ihr eigenes Beispiel; ihr Anspruch an uns hing nie an Äußerlichkeiten. Als ihre Weisheit in der Umgebung bekannt wurde, erklommen oft Ratsuchende den Berg, um sich Jutta anzuvertrauen; und die Schar der adligen Mädchen, die ihr zur Erziehung übergeben wurden, wuchs.
Bald war unsere kleine Klause zu eng und weitere Gebäude wurden unserem Wohnhaus angeschlossen. Wenn Jutta mich mit ihren klugen, grauen Augen musterte, war es, als blickte sie mir mitten ins Herz. Oft war ich nah daran, ihr von meiner Schau zu erzählen doch dann hielt die Angst mich wieder davon ab.
An einem milden Frühlingstag, als ich etwa zwölf Jahre alt war, nutzten wir das schöne Wetter, um zum Glan hinunterzusteigen. Da noch keine von uns Inklusinnen das Gelübde abgelegt hatte, das sie für immer an den Orden band, durften wir die Klause ab und zu verlassen. Unter Juttas Anleitung hatten wir mit Untersuchungen der Pflanzen und Tiere unserer Umgebung begonnen und wollten die Laichplätze der Fische erkunden. Auf der Suche danach schweiften die Mädchen hierhin und dorthin; ich aber war zu neugierig, um die drei kostbaren Stunden, die wir bis zum nächsten Stundengebet hatten, so zu vertrödeln.
»Kommt endlich mit, dort sind sie doch!«, rief ich und eilte ungeduldig flussaufwärts. An der Flussbiegung fand sich tatsächlich ein großes Laichgebiet; wohlversteckt unter den langfingrigen Blättern der Wassergräser. Erst als die anderen Mädchen bei mir ankamen, wurde mir bewusst, dass ich mich verraten hatte. Da war er wieder, der Blick, den ich seit jenem Wintertag in der Spinnstube so fürchtete!
Doch Jutta war mit ein paar raschen Schritten an meiner Seite. »Na, welch ein Glück, dass du uns so schnell hergeführt hast! Du warst wohl schon einmal hier?«, lachte sie leichthin. »Fangt gleich mit der Untersuchung an und schreibt alles auf, hört ihr: Farbe, Größe, Beschaffenheit! Und nehmt nur so viele Fischeier heraus, wie ihr unbedingt dazu braucht!«
Zu mir sagte sie: »Mit dir habe ich noch zu reden, Hildegard.« Sie führte mich einige Schritte fort, damit die anderen uns nicht hören konnten. Vor Angst war mir ganz übel. Steif wie ein Stock folgte ich ihr und wünschte verzweifelt, ich könnte die unüberlegten Worte zurücknehmen, die alles verändert hatten. Jutta aber sah mich mit ihren gütigen Augen an und lächelte.
»Du bist eine gute Schülerin, Hildegard«, lobte sie. »Du begreifst schnell, und man kann sich auf dich verlassen. Deshalb habe ich beschlossen, dir unser Heilkräuterbeet anzuvertrauen. Du sollst es aber nicht nur pflegen, sondern die Heilkräuter auch erforschen und, wenn möglich, neue hinzugewinnen. Ich möchte, dass du lernst, ihr inneres Wesen zu erfassen und alles, was du siehst, genau aufzuschreiben. Dafür erlaube ich dir, an Werktagen täglich eine Stunde in den Wald zu gehen.«
»Allein?«, staunte ich.
»Volmar kann dich begleiten. Ich denke, er wird sich über die Abwechslung freuen.«
»Aber wie soll ich denn das innere Wesen der Kräuter erfassen?«, stotterte ich überwältigt.
Juttas Lächeln vertiefte sich. »Ich denke, das weißt du selbst am besten. Hör gut zu: Das Sichtbare, das uns umgibt, ist wie ein Schlüssel, den Gott uns gegeben hat, damit wir das Unsichtbare erfassen. Und wenn wir lernen, die Geheimnisse des Sichtbaren zu entziffern, kann das Unsichtbare uns nicht mehr ängstigen.«